„Naja, Politik betrifft uns nicht so…ich wähle nicht“. „Ich auch nicht“, ein weiterer Lehrling. Alles ist Politik und ihre Teilhabe bedeutet Demokratie. Das wissen sie. Warum sie sich aber nicht politisch engagieren, nicht wählen gehen, ist ein Resultat aus dem Nicht-gehört, dem Nicht-ernstgenommen und dem stimmlos Instrumentalisiert werden. Frust, wenn man so will. Traurig. Aber fair enough.
„Die Jugend liebt heutzutage den Luxus, hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwätzt, wo sie arbeiten sollte.“ (Sokrates, 469–399 v. Chr.)
Dieses (angebliche) Zitat ist mein Lieblingszitat, wenn es um die Arbeit mit jungen Menschen geht. Warum? Weil sich genau diese Perspektive auf junge Menschen seit tausenden Jahren hartnäckig hält, ja sogar von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Was hat das mit dem Thema Demokratie zu tun? Lassen Sie mich bitte weit ausholen, ich verspreche, es wird Sinn ergeben.
Am 9. November 2016 bereite ich in der Früh einen Workshop mit Lehrlingen vor. Das Thema: „Armut und soziale Ausgrenzung“. Kipferl und Obst hergerichtet, Flipchart Papier aufgehängt, Stifte auf die Sessel gelegt.
In meinem Kopf habe ich aber nur Donald Trump. Den seltsamen Immobilientypen mit der seltsamen Frisur, den ich als Kind aus den Klatschzeitungen unserer Nachbarin kannte. Der ständig überall sein Gesicht in Kameras gehalten hat und bei dem ich mich immer gefragt habe, wieso der so schöne Frauen für sich gewinnen kann. Für mich das amerikanische Äquivalent zu Richard Lugner.
„Nach Barack Obama hat der das jetzt wirklich geschafft und ist Präsident der Vereinigten Staaten“, denke ich mir. Surreal für mich. Schließlich wurde Lugner bei uns auch nicht Präsident.
Die Lehrlinge trudelten ein, und weil es noch so früh ist, bemühte ich mich um verdaulichen Smalltalk. „Wie geht’s euch heute?“, frage ich. Und dann: „Habt ihr mitbekommen, dass Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten ist? Wie findet ihr das?“ Die Reaktion der Lehrlinge: unbeeindruckt. „Okay, die sind 10 bis 15 Jahre jünger als ich. Die kennen den nicht“, denke ich mir. Und dann kommt ein: „Naja, Politik betrifft uns nicht so…ich wähle nicht“. „Ich auch nicht“, ein weiterer Lehrling.
Waaaas? Mein Gesicht dürfte bereits vor mir gesprochen haben, denn die Lehrlinge schauen mich überrascht über mein überraschtes Gesicht an.
Ich weiß, dass ich jetzt nicht lockerlassen kann. Ich muss verstehen, was sie damit meinen. Deshalb nutze ich diese Aussagen gleich für den Einstieg in den Workshop. Ich stelle Fragen wie: Wie definieren wir Politik? Was bedeutet denn politisch sein? Zahlst du Miete? Wie bist du mobil? Wie hoch ist dein Gehalt? Warum kosten die Zigaretten, die du rauchst, alle 2 Monate mehr? Was lernst du in der Berufsschule?
Die Diskussion wird mit jeder Frage, die ich einwerfe, immer angeregter und schnell sind sich die Lehrlinge einig, dass sie ihre Einstiegsaussage revidieren wollen.
Alles ist Politik und ihre Teilhabe bedeutet Demokratie. Das wissen sie. Warum sie sich aber nicht politisch engagieren, nicht wählen gehen, ist ein Resultat aus dem Nicht-gehört, dem Nicht-ernstgenommen und dem stimmlos Instrumentalisiert werden. Frust, wenn man so will. Traurig. Aber fair enough.
Zurück in die Gegenwart. Jänner 2025: Trump ist schon wieder Präsident der Vereinigten Staaten und das österreichische Parlament präsentiert den Demokratie Monitor.
Dieser berichtet: 90 % der befragten jungen Menschen in Österreich finden, dass Demokratie die beste Staatsform ist. Soweit so….Glück gehabt.
Nur noch die Hälfte davon findet aber, dass unser politisches System auch gut funktioniert. Noch weniger finden, dass sie im Parlament ausreichend vertreten bzw. ihre Interessen bei politischen Entscheidungen berücksichtigt wird.
Wenn man dieses Ergebnis ernst nimmt, weiß man: das darf so nicht sein und es braucht ernstgemeinte Angebote, die jungen Menschen die Chance geben, einen Platz in der Demokratie zu finden, die über Meinungsbefragung hinausgeht.
Als youngCaritas ist es unsere Aufgabe Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene dabei zu unterstützen, sich durch gesellschaftliches Engagement einzubringen, auszudrücken und auszuprobieren. Das bedeutet, dass wir gesellschaftspolitische Themen altersgerecht aufbereiten, junge Menschen ermächtigen, sich mit Fakten auszustatten und Erfahrungen zu sammeln. Wir begleiten sie dabei und stellen sicher, dass sie sich in einem Safe-Space bewegen können, in dem Neugierde nicht erstickt wird und Diskurs und Auseinandersetzung auf Augenhöhe stattfinden.
Besonders auch in Wahlkampfzeiten ist das wichtig. Fast alle politischen Themen betreffen die Arbeit der Caritas und während dieser Zeit müssen wir häufiger als sonst subjektive Wahrnehmungen richtigstellen und politische Positionen einordnen. Mit Fakten versteht sich, nicht Parteipolitischem Programm.
Unsere Mittel sind nicht die größten und Not macht bekanntlich erfinderisch, deshalb haben wir ein ganz eigenes Format ins Leben gerufen, das sich mit dem Thema Demokratie auseinandersetzt. „Ich wähl das!“ Erst- und Jungwähler*innen bekommen den gebührenden Rahmen um mit Vertreter*innen aller Parteien ins Gespräch zu kommen, Fragen zu stellen oder einfach Statements zu setzen. Eine spaßige Podiumsdiskussion, bei der einstudierten Wahlkampfreden unmöglich werden.
Ich wähl das! Was das ist und wie es funktioniert, erklärt meine Kollegin im nächsten Beitrag.
Agnesa Isufi leitet die youngCaritas Wien.
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