Gesellschaftlich waren die Prioritäten bekanntlich unterschiedlich gelagert. Einer großen Zahl an Menschen, für die Gesundheit das höchste Gut war, die als Early Birds in der Impfstraße schon angestanden sind, als die Fledermaus in Wuhan noch nicht einmal gehustet hat, stand eine Minderheit gegenüber, die gemeint hat „nicht alles ist Gesundheit, die Freiheit ist das höchste Gut“ - Menschen, die aus Prinzip die Maske unterm Kinn getragen haben, da die Freiheit der Nase unantastbar ist. Demokratiepolitisch bedenklich war es jedoch, als man begann, Fakten mit Meinungen zu vermischen, einen kritischen Diskurs zu verweigern, mit dem Argument, dass es eben nicht mehrere Wahrheiten geben könne.
Die Pandemiezeit war, metaphorisch gesprochen, für mich eine überaus schizophrene Angelegenheit. Denn während ich als Kabarettist in der Pandemie als „nicht systemrelevant“ deklassiert und in die Arbeitslosigkeit verabschiedet wurde, war ich zeitgleich als Arzt überaus hoch angesehen und in meiner Funktion als Gesundheitsjournalist beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk durchaus gesellschaftstauglich. Aus diesen drei Blickwinkeln betrachtet, kann man die Krise im Nachhinein wohl als Zerreißprobe für die Gesellschaft sehen – und als ordentlichen Stresstest für die Demokratie.
Gesellschaftlich waren die Prioritäten bekanntlich unterschiedlich gelagert. Einer großen Zahl an Menschen, für die Gesundheit das höchste Gut war, die als Early Birds in der Impfstraße schon angestanden sind, als die Fledermaus in Wuhan noch nicht einmal gehustet hat, stand eine Minderheit gegenüber, die gemeint hat „nicht alles ist Gesundheit, die Freiheit ist das höchste Gut“ - Menschen, die aus Prinzip die Maske unterm Kinn getragen haben, da die Freiheit der Nase unantastbar ist. Die Dritten waren wiederum der Meinung, das höchste Gut sei eine Ersatzrolle Klopapier. An Maskenmuffeln und Verordnungswidersetzern wollte man vielerorts nicht anstreifen, ihnen haftete der Mief der Kriminalität an, weniger von Robin Hood, mehr von Jack the Ripper. Meinungsvielfalt war von beiden Seiten nicht sonderlich geschätzt – und das hatte nichts damit zu tun, dass das auslösende Virus aus China stammte. Ob man nun radikaler Corona-Garagen-Party-Demonstrant oder fundamentalistischer Regelbefolger war, der selbst in den eigenen vier Wänden die Familie dazu nötigte, Schutzanzüge zu tragen: Immer mehr Menschen fühlten sich von den jeweils anderen bedroht.
Als Mediziner war ich indes, mit Aufkommen der Impfung, froh, den Patientinnen und Patienten etwas anbieten, aus den Erkenntnissen zur Effizienz von Schutzmaßnahmen und Immunisierungen lernen und damit real schwere Verläufe verhindern zu können. Und ich habe auch gesehen, dass die Impfungen betagten multimorbiden Risikopatientinnen und -patienten tatsächlich das Leben retten konnte. Doch evidenz-basiert war das alles lange Zeit keineswegs, auch wenn man sich zu Formulierungen wie „…die Wissenschaft weiß mittlerweile…“ und „…wahr ist, dass…“ hinreißen ließ.
Journalistisch herrschte eine Art mediale Katastrophen-Euphorie. Die Branche blühte auf, während der Rest in Kurzarbeit geschickt wurde. Es gab nichts anderes als Corona-News. Die News wurden nur durch noch wichtigere Breaking-News unterbrochen, die Breaking-News nur durch noch wichtigere Werbung. In der heimischen Medienlandschaft war man verständlicherweise überfordert. Gerade im Wissenschaftsjournalismus war der Grat zwischen sauber recherchierten Geschichten und einer persönlich gefärbten bzw. auch gesellschaftlich gewünschten Haltung sehr schmal. Galt es doch in den ersten Monaten der COVID-19-Pandemie mit bestem Wissen und Gewissen die Gesellschaft vor einem gefährlichen Virus – und letztendlich vor sich selbst zu schützen. Zwar bemühte man sich, dem journalistischen Prinzip Check, Re-Check, Double-Check gerecht zu werden. Schwierig jedoch in einer Phase der chaotischen Informationsflut. So musste man sich damit begnügen, die einzig verfügbaren wissenschaftlichen Daten, etwa zur Wirksamkeit eines Impfstoffes und der damit verbundenen Immunität der Bevölkerung, den Presseaussendungen jener Firmen zu entnehmen, die die Impfseren herstellten. Die gesunde kritische Distanz zur pharmazeutischen Industrie, die man von den liberalen Leitmedien erwarten kann, schien in dieser Zeit etwas verloren gegangen zu sein.
Demokratiepolitisch bedenklich war es jedoch, als man begann, Fakten mit Meinungen zu vermischen, einen kritischen Diskurs zu verweigern, mit dem Argument, dass es eben nicht mehrere Wahrheiten geben könne. Ungeachtet der persönlichen Haltung wurden Menschen durch soziales Framing diskreditiert, als Covid-Leugner, Flacherdler und Schwurbler bezeichnet und mit radikalen und identitären Gruppen in dieselbe rechte Ecke gestellt (die überaus erfreut für die Chance waren, so einfach am schwächelnden System sägen zu können). Auch ein paar etablierte Wissenschaftler sind diesem Schutzreflex vor Fake-News zum Opfer gefallen – nachdem man ihnen die Wissenschaftlichkeit in aller Öffentlichkeit aberkannt hat. Dabei wurde nicht unterschieden, ob man nun behauptete, die Impfung würde womöglich die Infektiosität von Geimpften nicht reduzieren oder die Erde sei eine Scheibe und die Viren würden ohnehin früher oder später vom Rand runterfallen. Personen, die sich mit abweichender Meinung zu Wort gemeldet haben, wurden explizit auch medial kaum befragt, da man sich nicht dem Vorwurf des „False-Balancing“ ausliefern wollte - einige von ihnen fanden Asyl in sozialen Medien oder in Privatsendern (die deshalb ebenfalls angefeindet wurden).
Die Kehrseite dieses durchaus hehren Ziels, Menschen richtig zu informieren: Werden bereits andere Blickwinkel und abweichende Meinungen als Verschwörung gezählt, diffamiert das zum einen Personen, die eine kritische Herangehensweisen haben und verwässert zum anderen den Begriff des Verschwörungs-Mythos. Durchaus diskutable Argumente befinden sich damit in derselben Schublade wie der durchaus indiskutable Vorschlag, man möge einfach Desinfektionsmittel in eine Infusion füllen.
Wie rasch das Selbstverständnis demokratischen Vorgehens ausgehebelt werden kann, sieht man zurzeit auch in Übersee, wo weder Checks noch Balances ein Aushebeln von demokratischen Prozessen, einer unabhängigen Justiz oder Meinungsfreiheit verhindern können. Und bevor wir uns hierzulande in Sicherheit wiegen, möchte ich kurz daran erinnern, dass es gar nicht so viel braucht, um zumindest an den Rand der Demokratie entlangzutänzeln.
Demokratiepolitisch gilt rückblickend etwa die Einführung der Impfpflicht, bzw. des „Lockdowns für Ungeimpfte“ als medizinisch und verfassungsrechtlich höchst fragwürdig. Was jedoch für den Großteil der geimpften Bevölkerung lediglich eine Randnotiz in den Skurrilitäten der Corona-Maßnahmen war, empfanden die Betroffenen als schockierende Ernüchterung, wie rasch es auch in Österreich gehen kann, seine Grundrechte zu verlieren. Nach wie vor berichten viele ehemals von diesen Maßnahmen betroffene, dass dieses tiefsitzende Gefühl der Ungerechtigkeit und der Unsicherheit auch heute noch besteht. Mit dem Vertrauensverlust in Politik und Staat.
Auch wenn ich linksliberal sozialisiert bin und mir eine andere Interpretation eher weitaus mehr zugesagt hätte muss ich sagen: Irritierender Weise ist die Gefährdung demokratischer Werte von einer Seite gekommen, die ich nicht im Blickfeld gehabt habe. Ich kann den gescheiten Menschen vom Forum für Demokratie und Menschenrechte keine besseren Alternativen nennen, sodass wir für die nächste Pandemie klüger und sensibler agieren, denn in der Panik werden Menschenrechte als unnötiger Ballast rasch mal über Bord geworfen - und wie Karl Kraus es vermutlich (nie) gesagt hat, ist Österreich das einzige Land das aus Erfahrung dümmer wird.
Für meinen Teil bemühe ich mich, im Journalismus wie auch in der Ordination die von Carl Rogers geprägten Begriffe Empathie, Echtheit und Akzeptanz zu leben. Das bedeutet auch, Menschen mit abweichender Haltung nicht zu maßregeln, sondern zu verstehen, dass die höchsten Güter stets auch höchst individuell sind. Ob das etwas mit Demokratie zu tun hat, mögen die Fachleute von „Notfall Demokratie“ klären.
Ronny Tekal ist Arzt, Medizinkabarettist und Wissenschaftsjournalist.