In den Medien ist der Rückblick auf den Spätsommer 2015 überall präsent. Wie geht es den Menschen, die damals ankamen? Wie ist ihr Leben weitergegangen? Welchen Beitrag leiste sie mittlerweile für unsere Gesellschaft? Auch wir im Flüchtlingsprojekt Ute Bock haben uns diese Fragen gestellt und wollten unseren Unterstützer*innen berichten, wie es den Menschen geht, denen wir damals geholfen haben. Wie dieses markante Jahr bis heute Ehrenamtliche und Mitarbeiter*innen dazu bringt, Geflüchteten zu helfen. Doch ist uns in den Gesprächen mit Zeitzeug*innen vor allem bewusst geworden, dass der Rückblick auf die letzten 10 Jahre uns mehr Sorgen für die Zukunft bereitet.
Mit über 20 Jahren Erfahrung als Verein in der Flüchtlingshilfe wissen wir, dass viele Fälle individuelle Herausforderungen mit sich bringen. So begegnen wir jeder*m Klient*in. Der Mensch und seine*ihre persönliche Situation und Geschichte zählen. Egal ob jemand 2008 aus Nigeria, 2015 aus Syrien, 2022 aus der Ukraine oder 2025 aus Somalia gekommen ist. Die Art der Hilfe, die sie brauchen, ist ähnlich, die Anforderungen, denen sie begegnen, ebenfalls.
Was sich jedoch ändert, sind die Rahmenbedingungen. Der Unterstützungswillen der Aufnahmegesellschaft, der Wille das Leben der Menschen nicht absichtlich zu erschweren. Jemanden aufzunehmen und nicht aktiv Hürden aufzubauen. Der offene, zum Teil koordinierte Hass, der den Geflüchteten und uns Helfenden entgegenschlägt und der keine Konsequenzen, sondern Jubelrufe nach sich zieht. Von „Wir schaffen das“ zu rassistischen und antimuslimischen Anfeindungen war es ein schneller Schritt nach rechts.
Die Herausforderungen einer Aufnahmegesellschaft sind nicht zu leugnen. Aber es ist auch eine Frage des Wollens, wie man Menschen in eine Gemeinschaft aufnimmt. Man kann nicht verlangen, dass Geflüchtete Deutsch lernen und dann die eh schon knappen geförderten Deutschkursplätze weiter reduzieren. Man kann nicht fordern, dass Geflüchtete arbeiten und ihnen dann faktisch keinen Zugang zum Arbeitsmarkt bieten. Man kann nicht auf Bundesebene den Notstand wegen Systemüberlastung ausrufen, wenn nicht mal die Hälfte aller Bundesländer ihre Aufnahmequoten der Grundversorgung erfüllen. Das alles geht nicht zusammen und zeigt, wie die populistische Politik der Ära Kurz-Strache bis heute weiter ihre Wirkung zeigt.
Geflüchtete, die heute in Österreich ankommen, haben es in einigen Bereichen viel schwerer als die, die 2015 kamen und denen mit großer Unterstützung der Zivilbevölkerung ein sicherer Ort des Ankommens angeboten wurde.
Wir als Flüchtlingshilfe haben es ebenfalls schwerer. Die Ressentiments sind gewachsen, verfehlte Integrationspolitik/ -möglichkeiten als auch die teils bewusste Verbreitung von Fake News tragen weiter dazu bei. Man muss sich rechtfertigen, wenn man Menschen davor bewahren will, in ein Kriegsgebiet oder eine Diktatur zurückkehren zu müssen. Wir werden dafür kritisiert, wenn wir Menschen zu ihrem Recht auf Schutz verhelfen – wenn wir Menschenrechte einhalten wollen.
Wer die Solidarität verliert, riskiert die Demokratie. Wer vergisst, dass Mitgefühl und Menschlichkeit eine universelle Notwendigkeit sind, entfernt sich von einer lebenswerten Gemeinschaft. Zurück bleibt eine ausgehölte Gesellschaft, in der jede*r für sich allein kämpft, Angst und Vorurteile wachsen und niemand mehr zusammenhält. Das können wir nicht riskieren! 2015 war in vielerlei Hinsicht ein Erfolgsjahr für die Menschlichkeit in Österreich – daran sollten wir wieder anknüpfen und den Menschen, die ankommen, die Hand reichen, anstatt ihnen ein Bein zu stellen.
Gabrielle Scarimbolo ist seit Herbst 2024 Geschäftsführerin des Flüchtlingsprojekts Ute Bock. Der Verein blickt auf über 20 Jahre Erfahrung in der Wiener Flüchtlingshilfe zurück. Scarimbolo selbst war 2015 als Teil der Einsatzleitung mit Beginn der Fluchtbewegung in der Notunterkunft „Blaues Haus“ am Westbahnhof tätig. Am Höhepunkt der Fluchtbewegung 2016 & 2017 leitete sie das Flüchtlingsquartier Ziedlergasse für Die Johanniter.
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