Es war noch nie leicht, die richtigen Worte für das Ungeheuerliche in der Politik und in der Geschichte zu finden, es ist umso schwerer, wenn als gesichert geltende Einstufungen unterwandert werden. Es ist aber dringender notwendig denn je, die sich als Wahrheiten ausgebenden Behauptungen Überprüfungen zu unterziehen. Die vier größten österreichischen Schriftsteller- und Schriftstellerinnenvereinigungen haben daher gemeinsam mit ihren gleichartigen Verbänden in der Schweiz, in Deutschland und in Südtirol eine gemeinsame Plattform mit dem Titel Der Wert der Demokratie und ein Lexikon der demokratiefeindlichen Begriffe gegründet, mit denen sie Klarstellungen zu schaffen versuchen.
Verfasst zu den Europäischen Toleranzgesprächen Fresach 2025: „WahnSinn – Welt in UnOrdnung?“ vom 1.6 .– 7.6.2025
Welches Aussehen das seit ein paar Jahren deutlich andere Verhältnis zwischen den Akteurinnen und Akteuren auf politischer und denen auf medialer und kultureller Seite hat, beginnt bereits bei der Medienkompetenz. Vertreterinnen und Vertreter aus dem Medien-, Kunst- und Kulturbereich müssen notwendigerweise genau wissen, worum es geht, politische Vertreterinnen und Vertreter wissen in vielen Fällen weder, womit sie es zu tun haben, noch mit wem.
War es in Österreich bis ungefähr Mitte der 2010er-Jahre möglich, von gewachsenen Macht- und Kräfteverhältnissen zwischen der Politik und den Medien auszugehen und von einer schon immer unruhigen Beziehung zwischen der Kunst und Kultur und der Politik, so haben sich diese Voraussetzungen mit dem Antreten der ersten der beiden Kurz-Regierungen ab der zweiten Hälfte der 2010er-Jahre gründlich geändert. Für jemanden wie Sebastian Kurz und seine Inszenierungsbedürfnisse fanden sich im ORF keine Entsprechungsmöglichkeiten mehr. Er suchte sie zwar auch nicht wie sein unmittelbarer Konkurrent und damit äußerst erfolgreicher Vizekanzler Heinz-Christian Strache in einem verstärkten digitalen Auftritt, eher noch im Ausbau der politischen Werbung als im direkten Austausch mit analogen Medien, aber vor allem im Aufbau einer eigenen Nachrichtenagentur im Bundeskanzleramt.
Der Begriff „Message Control“ tauchte auf. Was als Abstimmungsinstrument zwischen den Koalitionspartnern offeriert wurde, war noch viel wichtiger als Instrument zur Organisation und Steuerung von Informationen in der Öffentlichkeit. Die politische Werbung reichte bis zur Aufnahme einer E-Mail-Korrespondenz von angeblich betroffenen Befürwortern von Maßnahmen mit den Gegnern dieser Maßnahmen. Auch in Werbeauftritten bei Wahlen ging es um neue Wege, mit doppelt so großen Plakaten bei halb so viel Inhalt und jedem Strohballen als neuem Werbeträger. Das Kulturverständnis endete in den beiden Kurz-Regierungen zwischen Anfeindungen, Befremden und Desinteresse, das in der Bezeichnung von Sebastian Kurz für die an den Anliegen Kunst und Kultur Interessierten als „Kulturverliebte“ ihren Höhepunkt fand. Diese Abwendung von selbst noch den repräsentativsten Kunst- und Kultureinrichtungen bereitete den Boden für die Zuwendung zur Kultur als nur mehr durch sich selbst geschütztes Feindbild auf.
Dem hilflosen bis überheblichen Umgang mit den analogen Medien auf konservativer Seite folgte die aggressive und parallele Neuausrichtung im Umgang mit analogen Medien und dem Aufbau eigener Medien, mit der pauschalen Diffamierung anderer als der eigenen Medien als „Lügenmedien“ und der ungehemmten und unkontrollierten Neuerrichtung eigener. Die Pläne zum Umbau des ORF in den beiden Regierungsperioden von 2017-2019 und von 2020-2021 scheiterten zum einen an der eigenen Unfähigkeit der Koalitionspartner, ihre Regierungen lange genug durchzuhalten, und zum anderen, dass sich bei einer großangelegten Medienenquete 2019 überraschenderweise herausstellte, auch die privaten Radio- und Fernsehsender waren am ORF als mediales Rückgrat interessiert.
Diese glücklichen Umstände trafen auf die nach 320 Jahren im Jahr 2023 abgeschaffte Wiener Zeitung nicht zu, zuerst folgte die Einstellung der Printausgabe („Die Zukunft des Medienmarkts ist das Digitale. Diesen Weg bestreitet [sic!] die Wiener Zeitung nun auch“, Medienministerin Susanne Raab); als Nachfolgerin entstand ein staatlich finanziertes Informationsserviceportal inklusive journalistischer Ausbildungsstätte, dem nach zweijährigem Bestand 2025 das Budget um ein Drittel gekürzt wurde.
Ähnlich fachlich beschlagen, allerdings ohne ausgewiesene Medienkompetenz, äußerte sich Dominik Nepp, der Wiener FPÖ-Obmann, auf die Frage, wie er sich nach der von der FPÖ verlangten Abschaffung der ORF-Gebühr die Finanzierung des ORF vorstelle, „wie bei Netflix“. Eine ebenfalls in ihrer Klarheit keine Fragen mehr offen lassende Feststellung betraf die Wiener Tageszeitung Der Standard nach einer den Wiener FPÖ-Obmann störenden Berichterstattung: „Fünf gute Jahre, wenn es mit diesem ’Scheißblatt’ endlich vorbei ist. Presseförderung nur noch für echte Qualitätsmedien.“ Auf der anderen Seite fordert die FPÖ die Einbeziehung der sogenannten „alternativen Medien“, die sie entweder selbst betreibt und die früher unter dem Begriff Parteimedien firmiert hätten oder die zu ihrem Dunstkreis gehören, in die Medienförderungen.
Nicht unähnlich der Abwicklung der Wiener Zeitung lief rund zwei Jahrzehnte davor in ebenfalls einer ÖVP-FPÖ-Konstellation die Auflösung des Österreichischen Bundesverlags, der für die österreichische Schulbuchherstellung von zentraler Bedeutung war und der im Tonfall eines elften Gebotes, der Staat soll keine Verlage besitzen, in die Privatwirtschaft entlassen wurde. Seither macht die Republik Österreich und ihre staatliche Schulbuchaktion nicht mehr mit sich selbst die Schulbuchgeschäfte, sondern mit einem großen deutschen Verlag. Parallel zu dieser schon länger anhaltenden Entwicklung des staatlichen, regionalen und kommunalen Rückzugs, aber auch der Kirche, der Gewerkschaft und der Kammern aus den Medien, Verlagen und der Kunst und Kultur, baute die FPÖ ein eigenes Medienimperium auf, das vorwiegend aus digitalen Angeboten besteht und wahrscheinlich das erfolgreichste rechte Medienangebot in Europa darstellt.
Dennoch: Die FPÖ hat es nicht geschafft, eine Regierung zu bilden, der Standard kann weiter als „nicht echtes Qualitätsmedium“ erscheinen, der ORF wird weiter durch die Haushaltsabgabe finanziert und nicht per staatlicher Finanzierung, wie es die Pläne der FPÖ waren und dem ORF das gleiche Schicksal beschert hätte wie dem Nachfolgemodell der Wiener Zeitung. Das zum eigenen politischen Umfeld gehörende OÖ Volksblatt bestritt [© Susanne Raab] diesen von der bis noch vor kurzem aktiven Medienministerin Susanne Raab vorgezeichneten Zukunftsweg des Digitalen und stellte nach der Umstellung ihres Betriebs auf eine Digitalausgabe Ende 2023, ein Jahr danach, Ende 2024, sein Erscheinen endgültig ein. Die bisherige Zukunftsbilanz für analoge Medien bei einem Wechsel ins Digitale sieht also eher traurig aus, und die politische und offizielle Beziehung zur Kunst und Kultur ist seit 2025 endgültig zu einem unerheblichen Nebenthema verkommen. Seit März 2025 sitzt ein Vertreter der schlagenden Studentenverbindungen aus den Reihen der FPÖ dem parlamentarischen Kulturausschussvorsitz vor, ohne dass irgendjemand in der politischen oder medialen Öffentlichkeit vernehmlich Anstoß daran nimmt.
Es handelt sich dabei allerdings nur um eine von vielen Zeichensetzungen, die sich als „normal“ präsentieren können. Es ist „normal“, dass je nach Wahlergebnis eine bestimmte Anzahl von parlamentarischen Ausschussvorsitzen auf die Ausschüsse verteilt werden, warum also nicht den Kulturausschussvorsitz an die FPÖ vergeben? Es ist „normal“, dass je nach Wahlergebnis eine bestimmte Anzahl von parlamentarischen Ausschussvorsitzen auf die Ausschüsse verteilt werden, warum also nicht den Kulturausschussvorsitz an die FPÖ vergeben? Weil sie in ihrem Wahlprogramm außer an feindlichen Äußerungen gegenüber der Kunst und Kultur nichts für Kunst und Kultur übrig hat, deswegen vielleicht? Es ist „normal“, dass die aus Wahlen hervorgegangene stärkste Partei den Ersten Parlamentspräsidenten stellt, warum dann nicht jemanden aus einer schlagenden Studentenverbindung dazu machen? Weil diese im besten Fall großdeutsch ausgerichtet sind und im schlimmsten unter ihre nationalsozialistische Vergangenheit nie einen Schlussstrich gezogen haben, deshalb möglicherweise? Es ist „normal“, dass der Wahlsieger der Nationalratswahl dem ORF das obligate Wahlsieger-Interview verweigert und dafür gegenüber einem von ihm ins Parlament geschmuggelten rechtsextremen, digitalen TV-Sender ein Interview gibt. Damit der ORF seinen Berichtspflichten nicht nachkommen kann, oder warum sonst? Es ist „normal“, dass sich im Regierungsprogramm der FPÖ-ÖVP der neuen steirischen Landesregierung nach siebzehn Vorhaben im Bereich der Heimatkultur an 18. bis. 21. Stelle auch vier Vorhaben finden, von denen die Gegenwarts-Kunst nicht gänzlich ausgeschlossen ist. Weil sich sonst nicht einmal die Heimatkultur von der FPÖ vereinnahmen lässt, vermutlich.
All das bisher Angeführte bezieht sich allerdings nur auf einen kleineren Teil der politischen und medialen Wirklichkeit und der medialen und kulturellen Öffentlichkeit. Der weitaus größere Teil der politischen, medialen und kulturellen Öffentlichkeit bewegt sich im Windschatten der Medien und der politischen und kulturellen Ereignisse und Diskussionen, in den sozialen Netzwerken, bei rechtsgerichteten Anti-Regierungsdemonstrationen, auf Parteiveranstaltungen und bei Versammlungen rechter Organisationen. Der Ton dort ist nicht nur aggressiver, die Äußerungen machen auch vor keiner Einbeziehung des nationalsozialistischen Gedankenguts mehr Halt. Und meistens auch vor keiner Unterstützung der Politik Putins und zuletzt auch nicht vor der von Trump und Musk.
Für rechte Parteistrategen und die Verbreitung rechtsextremen Gedankenguts sind „zensurfreie“ (© Elon Musk, Marc Zuckerberg usw.) Plattformen als Informationskanäle ein geradezu idealer Nährboden mit besten Voraussetzungen für weiteres Wachstum. Ein größerer Freiraum, als ihn die analogen Medien für sich in Anspruch nehmen könnten, und die Behauptung im Besitz einer überall anderswo weggemobbten Wahrheit zu sein, macht sie zu einem unschlagbar meinungsbildenden Distributionsapparat. Was in der analogen Medienwelt als selbstverständlich gilt, ist hier von vornherein aufgehoben, niemand muss den Wahrheitsbeweis für eine Behauptung erbringen können oder erbringen und niemand kann einmal etwas in die Welt Gesetztes wieder einfangen, es ist somit alles „wahr“. Man könnte natürlich auch das ungefilterte Meinungsspektrum an den sozialen Netzwerken schätzen wollen, dazu müsste man allerdings übersehen, mit Hilfe von wieviel Steuerung es zum Ausdruck kommt.
Wenn der deutsche Verfassungsschutz die AfD als gesichert verfassungsfeindlich bzw. rechtsextremistisch einstuft, so hat das in diesem Feld der Äußerungen in sozialen Netzwerken und auf Parteitagen und bei Parteiveranstaltungen seinen Hintergrund. Es ist weniger ein ideologisches Problem für die AfD, darauf festgelegt zu werden, als ein strategisches. Als aus der Mitte gerückte Partei hat sie es schwerer, die Mitte zu besetzen, die sie aber braucht, wenn es darum geht, diese rund 30 Prozent plus zu erreichen, mit der eine Partei in Deutschland oder in Österreich stärkste Partei bei Wahlen werden kann. Nicht zuletzt aus diesem Grund reizen rechte Parteien das ideologisch rechte Repertoire aus und relativieren nicht nur belastete Geschichte, sondern fälschen sie auch, bis dahin, wie zuletzt mit der Behauptung von Alice Weidel in ihrem Gespräch auf X mit Elon Musk, dass Adolf Hitler ein Kommunist gewesen sei. Ja, und warum denn nicht, wenn auch der rechte Autokrat Wladimir Putin die Wiederverehrung des größten Verbrechers im Kommunismus gegenüber der eigenen Bevölkerung, Josef Stalin, nur weil er den Sieg über Adolf Hitler und dessen Verbrechen an der russischen Bevölkerung davongetragen hat, für geboten hält?
Es war noch nie leicht, die richtigen Worte für das Ungeheuerliche in der Politik und in der Geschichte zu finden, es ist umso schwerer, wenn als gesichert geltende Einstufungen unterwandert werden. Es ist aber dringender notwendig denn je, die sich als Wahrheiten ausgebenden Behauptungen Überprüfungen zu unterziehen. Die vier größten österreichischen Schriftsteller- und Schriftstellerinnenvereinigungen haben deshalb gemeinsam mit ihren gleichartigen Verbänden in der Schweiz, in Deutschland und in Südtirol eine gemeinsame Plattform mit dem Titel Der Wert der Demokratie und ein Lexikon der demokratiefeindlichen Begriffe gegründet, mit denen sie Klarstellungen zu schaffen versuchen.
Zur Beruhigung geben aber auch die außerhalb von rechtsradikalen Strömungen angesiedelten Gestaltungsvorstellungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens nur wenig Anlass. Die einen träumen von der Rodung und vom Brachland, die anderen von der richtigen Halmhöhe, die einen arbeiten sich vor bis zum Kahlschlag, die anderen bis zur richtigen Façon. Die maßlosere Politik geht es mit der Kettensäge (© Elon Musk) an, die maßvollere mit der Heckenschere (© Sepp Schellhorn).
Gerhard Ruiss, Autor, Musiker und Publizist, Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren, Sprecher der Plattform Der Wert der Demokratie. Träger des HC Artmann Preises, Zuletzt veröffentlicht: O du mein Österreich: (K) eine Lobeshymne. Über die Frage, wer hinter den österreichischen Hymnen steht, Verlag Anton Pustet Salzburg/Salzburger Pressverein, Salzburg 2024
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