Eine Reform der überschulischen Schüler:innenvertretung ist dringend notwendig. Derzeit gibt es Scheindemokratie und Phantomgremien, die unter den Schüler:innen völlig unbekannt sind und daher auch kaum Gewicht haben. Stattdessen braucht es schlagkräftige Schüler:innenvertretungen, die von den Schüler:innen gekannt, gestaltet und gewählt werden.
Mitbestimmung geht über die soziale Integrationsfunktion von Mitmachen und das zivilgesellschaftliche Engagement von Mitgestaltung hinaus – Mitbestimmen bedeutet, dass wir jene Rahmenbedingungen und Regeln, die uns alle betreffen, auch gemeinsam festlegen[1]. Schüler:innen bilden die größte Gruppe an Teilhabenden in Schulen. Doch können sie wirklich die Rahmenbedingungen und Regeln, die sie in der Schule betreffen, gemeinsam diskutieren und festlegen? Natürlich nicht. Schule ist ein starres Konstrukt, geprägt von Abläufen wie 50-Minuten-Einheiten, die von einer schrillen Glocke beendet werden (oder von der Lehrperson? Hier gibt es ja bekanntlich unterschiedliche Interpretationen), Lehrplänen, Stundenplänen, standardisierten Prüfungen and so on. Es wird also vorgegeben, was Schüler:innen lernen, wann sie es lernen und wo sie es lernen[2]. Kreativ austoben dürfen sie sich „dann eh in der Freizeit“. Diese ist jedoch gespickt von Hausaufgaben, Nachhilfe, Lernen. Abgesehen davon ist Freizeitprogramm – gerade in Zeiten der Teuerung – stark abhängig von finanziellen Mitteln[3]. Ebenso abhängig vom ökonomischen Status ist das Gefühl wie sehr im Schulalltag mitbestimmt werden kann. Vertikale Ungleichheit äußert sich dabei nicht nur in Form von finanziellen Mitteln, sondern auch in Form von Status und Anerkennung. Lehrlinge berichten beispielsweise seltener von Mitbestimmung als Schüler:innen.
Zufrieden mit ihren Mitbestimmungsmöglichkeiten in Schule, Ausbildung oder Arbeit ist schließlich rund die Hälfte (52%) der 16- bis 29-Jährigen, jede:r Vierte (25%) möchte mehr mitbestimmen. Besonders häufig wünschen sich dabei jene mehr Mitbestimmung, die bislang außen vor bleiben mussten – allen voran Lehrlinge (41%) und finanziell schlecht abgesicherte junge Menschen (36%)[4].
Welche Möglichkeiten der Mitbestimmung gibt es für Schüler:innen?
Die Schüler:innenvertretung ist nicht nur ein wichtiges Instrument der Interessenartikulation von Schüler:innen, sondern auch eine Chance demokratische Mitbestimmung von Grund auf zu lernen. Viele Schüler:innen – besonders der Pflichtschule - sind jedoch von Mitbestimmungsrechten ausgenommen. So dürfen Schüler:innen der Mittelstufe ihre Schulsprecher.innen nicht direkt wählen, obwohl sie ein bis zwei Jahre später bereits bei der Nationalratswahl wahlberechtigt sind. Aufgrund des Ausbaus der ganztägigen Schulformen ist es zudem sinnvoll, die Mitbestimmungsrechte von Schüler:innen auf die Gestaltung des Freizeitangebots sowie der Klassen- und Schulräumlichkeiten auszuweiten. Im Hinblick auf die Vorbereitung auf das Erwerbsleben ist die Erfahrung der Mitgestaltung der eigenen Arbeitsumgebung von besonderer Bedeutung.
Die Schüler:innenvertretung ist auf drei Ebenen aufgebaut: der Schulgemeinschaftsausschuss (SGA) am Schulstandort, die Landesschüler:innenvertretung (LSV) und die Bundesschüler:innenvertretung (BSV).
Im SGA sind der:die Schulsprecher:in, sowie zwei gewählte Stellvertreter:innen aktiv und stimmberechtigt. Ebenso vertreten sind drei Elternvertreter:innen, Vertreter:innen der Lehrpersonen und die Direktion. Der:Die Schulsprecher:in ist am Ende des Schuljahres bei den LSV-Wahlen wahlberechtigt. Gewählt wird dabei in drei „Branchen“: AHS, BMHS und BS Schulsprecher:innen wählen jeweils deren Vertretung. Je nach Bundesland sind also unterschiedlich viele Personen wahlberechtigt. Auch die Anzahl der Vertreter:innen ist davon abhängig.
Kurz vor Beginn des kommenden Schuljahres wird dann die Bundesschüler:innenvertretung gewählt. Wahlberechtigt sind hier ausschließlich die Landesschulsprecher:innen aller Bundesländer, sowie zwei Vertreter:innen der Zentrallehranstalten[5]. Wenn 29 Personen also die Vertretung von 1,17 Millionen Schüler:innen wählen, ist tatsächliche Mitbestimmung längst nicht mehr gegeben.
Die Wahl der Bundes- und Landesschüler:nnenvertretung erfolgt über einen für viele Schüler:innen und Lehrlinge nicht nachvollziehbaren Delegierungs- und Wahlmodus. Viele Wahlmechanismen der Schüler:nnenvertretung unterscheiden sich stark von den Wahlsystemen zu öffentlichen Körperschaften (z.B. Nationalrat, Kammern, Gemeinderäte oder Bürgermeister:innen). Durch diese großen Unterschiede zwischen Schüler:innenvertretung und staatlicher Demokratie gehen viele positive Synergieeffekte für die Politische Bildung verloren. Gleichzeitig sind durch den komplexen Bestellmodus viele interessierte Schüler:innen und Lehrlinge von der Mitsprache und Mitarbeit in der Landes- und Bundesschüler:innenvertretung ausgeschlossen.
Eine Reform der überschulischen Schüler:innenvertretung ist dringend notwendig. Dabei sollte im Sinne der Demokratie das Wahlrecht der Landes- und Bundesschüler:innenvertretung an vergleichbare Wahlordnungen zu gesetzgebenden Körperschaften, unter der Wahrung der personalisierten Verhältniswahl, angepasst werden.
Derzeit gibt es Scheindemokratie und Phantomgremien, die unter den Schüler:innen völlig unbekannt sind und daher auch kaum Gewicht haben. Stattdessen braucht es schlagkräftige Schüler:innenvertretungen, die von den Schüler:innen gekannt, gestaltet und gewählt werden.
Ziel der Reform ist eine breitere Einbindung von Schüler:innen und Lehrlingen in die überschulische Schüler:innenvertretung. Bei der Reform sollten jedoch jedenfalls die Wünsche und Anliegen der Schüler:innenvertretungen berücksichtigt werden. Denn wie eingangs schon zitiert, mitbestimmen bedeutet, dass wir Rahmenbedingungen und Regeln, die uns betreffen, auch gemeinsam festlegen.
[1] Van Deth, 2009
[2] Wie könnte es anders gehen? Das diskutieren Philip Taucher und Lotte Kreissler hier: #demo: Demokratie – Lern und Lebensform? | Blog der Referent:innen Akademie
[3] Im AK Jugendmonitor (2024) berichten 45% der 16- bis 29-Jährigen von einer starken Belastung durch Kosten für Freizeitaktivitäten. Die Auswirkungen davon? 59% der jungen Menschen mussten in den vergangenen zwölf Monaten (Stand Juli 2024) entweder beim Fortgehen, bei kostenpflichtigen Freizeitangeboten und/oder beim Urlaub einsparen. Damit ist Freizeit der am stärksten von Einsparungen betroffene Bereich.
[4] AK Jugendmonitor, 2024
[5] Die Zentrallehranstalten (ZLA) sind Schulen im österreichischen Bildungssystem die direkt in den Verwaltungsbereich des Bundes fallen. Daher: sie werden von dem zuständigen Ministerium statt von der Bildungsdirektion verwaltet.
Sophie Lehner ist Referentin für Bildungspolitik mit Schwerpunkt Bildungsforschung in der Arbeiterkammer Wien.
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