Wenn kreative Bewegung sichtbar wird, ist der Betrachter angerufen, sein Denken und seine angenommenen Vorstellungen zu hinterfragen und im Zweifel zu erneuern. Der Künstler propagiert eine an Brutalität grenzende Sachlichkeit, die keine Vorlieben, keine Therapieersatzspiele, oder kleinbürgerliche Autonomieillusionen bedient, stattdessen das souveräne Zusammenspiel von Präzision und Sensibilität in einem gesellschaftlichen Rahmen, der seine Indifferenz kontaminiert. Um dieser Art von Autonomie geht es; um diese manifestierte letzte Freiheit, die wir haben.
Ich bin ein Sohn von Emigranten, in Wien aufgewachsen, österreichischer Staatsbürger und habe seit nahezu 45 Jahren an der Aktualisierung der östlichen Spiritualität und Poetik, sowie des Ost-West-Konfliktes in Kunst und Gesellschaft gearbeitet und als Hintergrund die eigene Existenz benützt. Ich habe mich dabei immer als Wanderer zwischen den Welten gefühlt und folgte meiner Auffassung, dass historische Grundlagen und spezifische sozio-kulturelle Umfeld eine universelle Bild- und Formensprache verlangen. Dieses Gesamtkunstwerk sieht das Doppelkreuz als Zentrum und gruppiert die diverse Weltschau in ihren verschiedenen Ausdrucksformen in einer sich verengenden Kreisbewegung um dieses Zentrum herum.
Meine ersten Arbeiten beschäftigten sich vorrangig mit dem Problem der Kommunikation und der allgemeinen Unfähigkeit, dieses Bedürfnis zu realisieren: die Sprachlosigkeit zwischen den Geschlechtern sowie die Vereinnahmung durch das Kollektiv, archaische Selbstbehauptung im Gegensatz zum ritualisierten Sein. Ausgehend von Zeichnungen und Foto-Romanen habe ich damals trostlose Räume als objektiviertes Gegenstück einer geträumten Vision vom freien und autonomen Menschen innerhalb eines poetischen Lebens gebaut.
Wenn man mir damals die Übertreibung vorwarf, so denke ich heute, war sie nicht übertrieben genug.
Die Differenz im Ungewissen des Zuvorkommenden im künstlerischen Prozess, dieser geheimnisvolle Nährboden personifizierter Weltschau, muss den Übermut bejahen. Die Bodenhaftigkeit wird verlassen, um nicht im Belanglosen zu enden. Nach Deleuze ist Kunst eine Lebenskraft im Prozess des Werdens. Die kreative Bewegung wird dann sichtbar, als eine Form geistiger Disziplin in einem Prozess permanenter Entscheidungen. Wenn kreative Bewegung sichtbar wird, ist der Betrachter angerufen, sein Denken und seine angenommenen Vorstellungen zu hinterfragen und im Zweifel zu erneuern. Dieser Prozess muss sich angesichts der Begrenztheit des Seins und des Todes behaupten; im Denken der Endlichkeit ein geradezu unmögliches Unterfangen, es sei denn, als Sehnsuchtsmelodie eines unverfälschten Lebens, der Schönheit auf der Spur.
So habe ich als angehender Künstler in Wien Ende der 70er Jahre in naiver Ernsthaftigkeit das künstlerische Sein als fleischgewordene Empfindung gefeiert und in dieser Zuversicht Linie und Wort die Kraft zugebilligt, die Gesellschaft erneuern und entgrenzen zu können.
Eine Malerei, die zu sich kommt, ist frei von solcherart Selbstüberhöhung und vermag die narzisstische Künstlersubjektivität elegant zu parieren. Solcherart Malerei hält Zeit auf, im Stillen Sein zwischen der Gegenwart und der Leinwand oder dem Blatt Papier. Der Künstler bleibt solitär und propagiert eine an Brutalität grenzende Sachlichkeit, die keine Vorlieben, keine Therapieersatzspiele, oder kleinbürgerliche Autonomieillusionen bedient, stattdessen das souveräne Zusammenspiel von Präzision und Sensibilität in einem gesellschaftlichen Rahmen, der seine Indifferenz kontaminiert. Um dieser Art von Autonomie geht es; um diese manifestierte letzte Freiheit, die wir haben.
Die Gegenseite als Normalzustand ist der Kunstmarkt: dieses Perpetuum mobile aus Galerien, Kunsthändler, Berater, Messen, Auktionshäuser und Sammlerbörsen sowie handverlesene Spitzenpreise stellt den Betrieb dar und besetzt die Messlatte des Erfolges. Ähnliches erfahren wir auch im subventionierten Literaturbetrieb.
Die Kunstszene wiederum hat sich von der individuellen Sehnsucht nach Schönheit aus ideologischen Gründen verabschiedet, den Sockel begradigt, den Raum vermessen und am Ende verlassen. In der heutigen digitalen Überproduktion, bild- und bald sprachlos, ist das Kritische mittlerweile zum ideologischen Klischee verkommen im sich überholenden Domestizierungsfuror vermeintlicher Korrektheit. In dieser postmodernen Einöde ist die klassische Anordnung mitnichten verfallen; klassisch angeordnete Säulenreihen können bekanntlich ästhetisch nicht verbessert werden. Wir können dem Fortschritt auf der Spur, die Messgesetze ersetzen, ummogeln, entschreiben und zum Grad der Deutungshoheit erklären. Der Untertan wird devot abnicken, ansonsten bleibt solcherart Willkür immer austauschbar, während der Gleichklang durch Raum, Bild und Eigensinn im Hinblick auf die Universalität niemals Dekor ist.
Im künstlerischen Anspruch, tief eingekapselt in den Artefakten der eingeschlossenen Erinnerung, in dieser erlebten Freiheit in der Dunkelheit der wuchtigen Musik im Voom- Voom oder in der Camera Obscura (Stefan Weber sei Dank!) meiner Wiener Anfänge, in diesem Murks und Chaos der Selbsterfindung bin ich mir selbst entwachsen.
Nachfolgenden Generationen bleibt es überlassen, selbige Spielplätze des Wollenden neu zu gestalten. Was tun? Kultur und Luxus als Aperçu des Widerstands zu erkennen, Ideen nicht mit Einfällen zu verwechseln, und mit Platon gesprochen, Zweifel an der Effektivität des Überredens zu fördern. In den Grundlagen eines möglichen Wahrheitsbegriffes steht diese Art subversiven Denkens immer im genauen Gegenteil zur beliebigen Meinung.
Dieser Zauber im Nichts begleitet das Kratzen des Pinsels, der, seine Absicht hinterherzerrend, auf der Leinwand herummarschiert. Die Sorgfalt und Geduld eines unersättlichen Kindes, das seiner überraschten Mutter zuruft, es wolle die Luft malen.
Haralampi G. Oroschakoff, in Sofia geboren und in den 1960er Jahren nach Wien emigriert, setzt sich in seinem Werk intensiv mit der kulturellen Identität des orthodoxen Ostens auseinander. Seine Arbeiten changieren zwischen Installation, Malerei und Schrift. Als Essayist beschäftigt er sich mit Fragen der kulturellen Identität, der Migration und der Rolle Europas. Er ist Mitglied des Österreichischen PEN-Clubs.
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