Demokratie ist wie ein gutes Wiener Schnitzerl: goldrichtig, reichhaltig und wohlig duftend, wenn man’s richtig macht, aber sobald man am Rezept spart, schmeckt’s nach Pappendeckel oder riecht nach altem Frittieröl. Und wie beim Schnitzerl merkt man erst, wie viel Arbeit, Überlegung und Fingerspitzengefühl drinsteckt, wenn man versucht, sie billig nachzumachen.
In Österreich – wo man gern über alles diskutiert, vom Bundesbudget bis zur besten Marillenmarmelade – ist Demokratie mehr als ein Regierungssystem. Sie ist ein Lebensgefühl. Ein feines Gleichgewicht aus Streitkultur, Mitbestimmung und dem Konsens, dass man Konflikte nicht mit dem Megafon oder der Mistgabel austrägt, sondern mit Argumenten. Und das, in aller Ruhe, zwischen zwei Kaffees.
Trotzdem gibt es immer wieder selbsternannte Volkstribune und Kulturretter, die finden, das alles sei zu umständlich. „Zu viele Regeln! Zu viele Meinungen! Zu viel Fremdes! Zu wenig Tempo!“, rufen sie – vorzugsweise von der Couch oder vom Wirtshaustisch aus, während sie sich mit Halbwissen aus Telegram-Gruppen oder TikTok-Videos aufmunitionieren. Der Gedanke, ein „starker Mann“ könne mit einem Federstrich alles „aufräumen“, klingt in ihren Ohren wie der Radetzkymarsch beim Neujahrskonzert plus Gesangsunterstützung eines Schlagersängers in Lederhosen. In Wahrheit ist es eher ein schiefer Dreiklang aus Selbstüberschätzung, Bequemlichkeit und politischem Fast Food.
Denn wer meint, Demokratie sei nur dann etwas wert, wenn sie exakt den eigenen Vorstellungen entspricht, hat das Prinzip ungefähr so gut verstanden wie ein Tourist den Nachtfahrplan der Wiener Linien an einem verlängerten Wochenende.
Die Demokratie ist nun mal kein Wunschkonzert und schon gar kein Wirtshaus, in dem nur die eigene Lieblingsmusik aus dem Automaten dröhnt. Sie erinnert eher an einen Gemeinderatsabend im Turnsaal der örtlichen Volksschule: zäh, ein bisschen zu laut, manche reden ununterbrochen, andere beschweren sich über alles; und trotzdem darf jede und jeder etwas sagen. Auch wenn es öfters in den Ohren und dazwischen wehtut. Und am Ende geht man heim, fragt sich, ob das jetzt wirklich nötig war und denkt sich: Immerhin, alle hatten die Chance, gehört zu werden. Genau darum geht’s: Die Bühne bleibt offen. Für alle. Nicht nur für die, die am lautesten schreien.
Ja, sie ist langsam. Und manchmal auch nervtötend. Man muss zuhören, abwägen, Kompromisse eingehen. Aber eben das unterscheidet sie von jenen Systemen, in denen einer allein entscheidet und alle anderen sich besser ducken. Die angeblich „effizienteren“ Alternativen setzen oft nicht auf Ordnung, sondern auf Einschüchterung. Und was als „klare Kante“ verkauft wird, ist in Wahrheit oft nur ein Mangel an Geduld und demokratischer Reife.
Die lautesten Kritiker der Demokratie sind in der Regel auch ihre bequemsten Gäste: Sie genießen alle ihre Freiheiten, lehnen aber die Verantwortung ab, die damit einhergeht. Sie fordern Meinungsfreiheit – jedoch nur für die eigene Meinung. Sie wollen gehört werden, doch nicht zuhören. Sie wittern überall Zensur, tragen aber selbst nichts zur Debatte bei außer Misstrauen und Missmut.
Dabei ist Demokratie nichts, was sich von allein erhält. Sie ist kein Dekoartikel, den man ins Regal stellt und abstaubt, wenn hoher Besuch kommt. Sie will belebt, verteidigt und mitgestaltet werden. Und sie stirbt nicht auf einen Schlag, sondern langsam: durch Desinteresse, durch Vereinfachung und durch das bequeme Gefühl, dass es schon „andere richten werden“.
Also ja: Demokratie kann anstrengend sein. Sie ist nicht perfekt. Aber sie ist unser bestes Angebot an ein friedliches Zusammenleben mit allen Unterschieden, Macken und Meinungen. Und wer glaubt, man könne sie durch einen Stammtisch ersetzen, bekommt am Ende nicht mehr Mitsprache, sondern bloß mehr Bierdeckelweisheiten. Obwohl: Vielleicht ist genau das ja von einigen unserer Mitmenschen und selbsternannten Heilsbringer gewollt?
Deshalb: Hoch die Demokratie! Möge sie weiter nerven, fordern und herausfordern. Denn eben darin liegt ihre wahre Stärke – und unsere größte Chance. Noch.
Gerhard Blaboll, Jurist, Autor, Moderator und Songwriter, schreibt historisch-philosophische Erzählungen und Romane mit Bezug zur aktuellen politischen Situation. Er ist Mitglied des Österreichischen PEN-Clubs, der IG Autorinnen Autoren und des Österreichischen Journalisten Clubs. Ab 2025 erhielt Blaboll eine Gastprofessur an der European University in Belgrad für Demokratieverständnis und Friedenspolitik.
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