Am 25. und 26. September 2025 fand im Ars Electronica Center in Linz der zehnte Grundrechtstag der Richtervereinigung statt. Im Fokus stand die Klimakrise und damit auch die Frage, was sie für Demokratie, Gesellschaft und Recht bedeutet. Von der Frage nach einem Grundrecht auf Klimaschutz über Ansätze einer ökologisch nachhaltigen Ökonomie bis hin zum EU-Rechtsrahmen: Das Programm spannte einen weiten Bogen. Ebenso Thema waren Klimaklagen und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, sowie ziviler Widerstand und die Rolle sozialer Bewegungen.
Im Folgenden finden Sie einige Kurzberichte, die die Richtervereinigung zu einzelnen Beiträgen zur Verfügung gestellt hat.
Der rasanten Geschwindigkeit, mit der sich das Klima in den letzten Jahren veränderte, sieht Univ.-Prof. Dr. Franz Essl besorgt entgegen. Unterhalb der 1,5-Grad-Grenze des Pariser Klimaabkommens zu bleiben, sei bereits jetzt kläglich misslungen. Dies öffne die Türen für das Eintreten weiterer sogenannter „Kipppunkte“, die gewissermaßen einen Schneeballeffekt auslösen und den Klimawandel nur noch mehr anheizen würden.
Und die negativen Effekte des Klimawandels machen auch vor Österreich nicht halt, warnt der „Wissenschaftler des Jahres 2022“. Dabei hat er verschiedenste Beispiele vom Fichtensterben bis hin zu Schwalben-Brutpaaren und der Entwässerung von Mooren parat. Er zeigt auf, dass die Grundlagen der Biosphäre auch die Grundlagen des Gesellschaftssystems sind. Der Klima- und Biodiversitätsverlust bilde die Spitze an Gefahren, die der Weltwirtschaft in den nächsten zehn Jahren drohe. Zerstören wir die Artenvielfalt, zerstören wir auch die Gesellschaft, mahnt der Experte. Der Zuschauerraum staunt erschrocken, als Franz Essl einen Verlust von 3 % an globalem Einkommen bei einer Erderwärmung von 1,5 Grad mit dem zu erwartenden 10 %-igen Verlust vergleicht, der bei einer 3-Grad-Erwärmung droht.
An den Zielen mangelt es nicht – wohl aber an der tatsächlichen politischen Umsetzung, kritisiert der Experte in der Folge. Er zeigt auf, dass das Land Niederösterreich jährlich 15 Millionen Euro für Naturschutz ausgibt. Eine Zahl, die neben den 450 Millionen Euro, die für den Bau und die Erhaltung von Straßen aufgewendet werden, für Franz Essl ganz schön schwach aussieht.
Gerade in Sachen Umwelt habe der Lauf der Geschichte gezeigt, welch tragende Rolle die Gesellschaft spiele. Die verschiedensten Teile der Zivilgesellschaft würden wichtige Akteure darstellen, die Veränderungen anstoßen könnten – das Kernkraftwerk Zwentendorf dient dem Experten als Paradebeispiel. Dass wir so erfolgreich wie im Jahr 1978 sein werden, kann Franz nicht versprechen. Aber er erinnert daran, dass der Weg oft aussichtslos erscheint, bevor man das Ziel erreicht.
„Wir wissen seit 200 Jahren, was es mit dem CO2 auf sich hat.“, wirft Dr. Ulrich Maidowski, Richter des Deutschen Bundesverfassungsgerichts, zu Beginn seines Vortrags am Grundrechtstag in den Raum. Dabei sei der Vorwurf der Untätigkeit ein solcher, den Richter nicht auf sich sitzen lassen dürften. Klimaklagen seien wohl eine neuzeitliche Art von Gerichtsverfahren, doch würden Richter:innen bereits das erforderliche Handwerk zur Entscheidung in „David gegen Goliath“-gleichen Fällen besitzen. Er lobt dabei kreative und mutige Entscheidungen seiner Kolleg:innen, die einen enormen Beitrag zum Bewusstseinswandel leisten würden.
Doch müsse eine Art „nächste Phase“ von Verfahren ins Leben gerufen werden. Es reicht nicht aus, nur die Untätigkeit festzustellen, kritisiert der Experte: „Danach muss ja was passieren!“. Eine Gerichtsentscheidung sei lediglich der erste Schritt einer Entwicklung, die einmal in der Natur ankommen müsse. Für Schmunzeln in der Menge sorgt Ulrich Maidowski, als er von Entscheidungen des OLG Pakistan, die zum Bäume-Pflanzen verplfichten, berichtet. „Der Gerichtsvollzieher wird sich freuen!“, lacht der renommierte Jurist.
Klar ist ihm jedoch, dass die Gerichte „essen, was auf den Tisch kommt.“ Schlechte Klagen schaden, so der Experte. Auch in politischer Hinsicht seien wir an einem gefährlichen Punkt angelangt, erfolge doch wider besseren Wissens keine Priorierung der Klimakrise . Sie würde von jeder aktueller scheinenden Krisensituation überlagert. Viel müsse getan werden, um das Potential im Demokratiebereich zu nützen. Ulrich Maidowski warnt eindringlich vor autokratischen Lösungen: „Freiheitsbereiche, die wir aufgeben, bekommen wir nicht wieder zurück!“, mahnt er.
Er bietet mehrere Lösungsansätze, die das Publikum sichtlich begeistern. Konkret empfiehtl er eine „institutionalisierte Perspektive der jüngeren Generation“, die sich in den Gesetzgebungsprozess einbringen kann – bis hin zu einem möglichen Vetorecht bei zukunftsschädlichen Vorhaben.Er argumentiert, dass es mühsame Maßnahmen zu treffen gilt, die über mehrere Wahlperioden hinaus aufrecht erhalten werden können. Zudem möchte er auf Aufklärung setzen: Nur ein informierter Demokrat würde solch mühsamen Maßnahmen zustimmen.
-Abschließend macht Ulrich Maidowski Mut: Selbst eine erfolglose Klimaklage kann oft nachhaltigere Veränderungen bewirken, als eine erfolgreiche – sie braucht nur eine gute Begründung! Dann würde diese Idee in der Gesellschaft intensiv diskutiert, und schlussendlich auch die Politik zu einer entsprechenden Änderung der Gesetze bewogen.
Univ.-Prof. Dr. Sigrid Stagl übt scharfe Kritik an unserer gegenwärtigen Wirtschaftsweise: Sie sei durch einen hohen Ressourcenverbrauch und durch erhebliche Ineffizienzen gekennzeichnet. Gleichsam sei die Wirtschaft in Gesellschaft und Natur eingebettet. Demgemäß gefährde die Klimakrise auch sämtliche wirtschaftspolitischen Ziele. Für die Ökonomin ist klar: Das derzeitige Vorgehen auf wirtschaftlicher Ebene ist langfristig nicht tragfähig. Die Option „Business as usual!“ kommt für die Expertin nicht infrage.
Eine effiziente Wirtschaftsweise erfordere angepasste Marktregeln, die biophysische Rahmenbedingungen berücksichtige. Die Erstellung einer ökonomischen Analyse erfordere daher interdisziplinäres Arbeiten: Ökologische Ökonomie bedeute, im Einklang mit der Physik und der Natur zu wirtschaften.
Die Expertin schafft es, im Publikum regelrecht für Aufbruchsstimmung zu sorgen und einen Lichtblick am Ende des Tunnels in Aussicht zu stellen: Zukunftsfähige Versorgungs- und Energiesysteme seien vorstellbar und ökonomisch machbar. Krisen würden die Chance der Förderung von Innovationen bergen. Klimapolitik sei nicht ambitioniert, sondern adäquat. Und vor allem: Die Klimasanierung ist wirtschaftlich leistbar. Weltweit würden wir jährlich zwei Billionen US-Dollar in die Klimatransformation investieren, erforderlich wären neun. Genau die fehlenden sieben Billionen Dollar würden jährlich in Subventionen für fossile Energieträger investiert.
Wenngleich die Umwandlung dieser „braunen Investitionen“ hin zu „grünen“ bestimmt auf mehrseitigen Widerstand stößt, sieht Sigird Stagl eine Klimatransformation im Bereich des Möglichen. Sie stellt eine Vielzahl an Schrauben vor, an denen es zu drehen gilt und appelliert für einen Ausstieg aus dem Wachstumszwang: Wirtschaftlicher Erfolg könne auch an anderen Kriterien, wie beispielsweise der Preisstabilität, gemessen werden. Abschließend appelliert sie, im Gemeinsamen zu handeln. Nicht die Menschen seien falsch, sondern die Strukturen.
Dürrebrände, Hitzewellen und Sturmfluten – Die Klimakrise ist da. Weit verbreitet ist das Gefühl von Rat- und Machtlosigkeit in der Gesellschaft. Laut Dr. Isabella Uhl-Hädicke wissen wir aber nur zu gut, was zu tun ist. Die Umweltpsychologin stellt den Teilnehmer:innen am Grundrechtstag die zentrale Frage: „Warum machen wir es nicht einfach?“
Die Antwort sieht Isabella Uhl-Hädicke zum einen in der Überforderung, die mit dem regelrechten Schwall an Informationen über die Klimakrise einher geht. Sie seien oft abstrakt, viel zu theoretisch und meist negativ konnotiert. Werden Menschen mit einer existenziellen Bedrohung konfrontiert, so erklärt die Expertin, reagieren sie häufig mit Vermeidung oder Abwehr und suchen zwanghaft Bestätigung, dass das, was sie tagtäglich erleben, übertrieben oder falsch ist. Der Mensch sei ein Gewohnheitstier – er wolle ohne schlechtes Gewissen den eigenen Alltag fortsetzen, ohne etwas ändern zu müssen. Ratsam sei es, Klimathemen greifbar zu machen und einen Bezug zur Lebensrealität herzustellen. Vorsicht sei bei bedrohlichen Klimainformationen geboten, diese würden das Gefühl von Ohnmacht auslösen.
Zum anderen erklärt sich die Umweltpsychologin das Phänomen mit sozialen Normen. Wir orientieren uns an unseren Mitmenschen, zeigt sie auf. Es entstehe der Eindruck: „Wenn es die anderen machen, kann’s nicht so schlimm sein.“ Mehrmals pro Woche Fleisch am Teller oder ein bis zwei Autos pro Haushalt würden einfach dazu gehören und als „normal“ gelten. Die Entscheidung für bewusst klimafreundliches Verhalten geht laut der Expertin demgegenüber oft Hand in Hand mit dem Gefühl, allein zu sein. Mit Nachdruck warnt sie daher vor jeder noch so gut gemeinten Verbreitung von Mehrheitsverhalten, das man eigentlich nicht fördern möchte. Menschen orientieren sich unbewusst trotzdem daran.
In einem Ausblick betont die Umweltpsychologin, wie wichtig maßgeschneiderte Handlungsanleitungen zur Stärkung der Selbstwirksamkeit in der Gesellschaft sind. Eine hohe Selbstwirksamkeit gehe mit aktivem Handeln einher, während niedrige Selbstwirksamkeit bloß furchtreduzierende Verhaltensweisen fördere. Wo die Österreicher noch an alten Traditionen klammern, möchte Isabella Uhl-Hädicke auf das Aufzeigen von Trends setzen – ganz nach dem Motto: „Die Mehrheit lebt zwar nicht fleischlos, aber immer mehr reduzieren ihren Fleischkonsum!“ Die Expertin ist sich sicher: So kommen wir vom „Warum machen wir es nicht einfach?“ zu einem „Machen wir es doch einfach!“
„Was hat die Entdemokratisierung mit der Klimakrise zu tun?, fragt Univ.-Prof. Dr. Ulrich Brand die Teilnehmer:innen des Grundrechtstags. Als ihm verwunderte Augen entgegenblicken, erklärt er, dass legitime Kämpfe um Demokratisierung immer schon im fossilen Bereich gelegen seien. Vor allem im 20. Jahrhundert habe der Kohlebergbau starke Arbeiterbewegungen ermöglicht. Den Gedanken der „carbon democracy“ könne auch man zwanglos auf die heutige Zeit übertragen, etwa auf die Automobilindustrie.
Der Politikwissenschaftler zeigt in der Folge auf, dass der Demokratie eine imperiale, andere Systeme ausbeutende, Lebensweise innewohnt. Diese sei geradezu unsichtbar: Schließlich sehe niemand dem neu ergatterten Notebook die Rohstoffe oder die Arbeitsbedingungen, die mit seiner Herstellung einhergingen, an.
Im Sinne einer „Externalisierung“ komme es zudem zu einer Verlagerung der Klimakrise in den globalen Süden. Der Bewegung des „green capitalism“, die auf grünes Wachstum und grüne Jobs setzen möchte, steht Ulrich Brand deswegen kritisch gegenüber. Diese stelle weder die Wachstums- noch die Wettbewerbslogik infrage und ignoriere die koloniale Ausbeutung.
Er zeigt auf, dass gerade Angehörige vermögensstarker Gesellschaftsschichten in Krisensituationen zur Ausübung von Autorität tendieren. Ihren Erfolg erklärt sich der Experte damit, dass die ökologische Modernisierung nicht mit einem sozialen Ausgleich verbunden war.
Der Politikwissenschaftler hält nämlich nichts davon, den Gürtel enger zu schnallen: Demokratie heißt für Ulrich Brand nicht nur politische Partizipation, sondern auch materielle Teilhabe am Wohlstand. Dennoch sei es nicht erstrebenswert, dass 48 % aller neuzugelassenen Autos SUVs oder größere Fahrzeugklassen seien. Die Lösung liege aber nicht im Verzicht des Einzelnen, sondern in einer Stärkung des staatlichen Eingriffs in die Wirtschaft durch die gezielte Lenkung von Investitionen. In jedem Mensch, jeder Institution und NGO erblickt der Politikwissenschaftler eine „transformative Zelle“, die durch Vernetzung stark werden kann. Er fordert jede Zelle auf, sich genauer in ihrem Umfeld umzuschauen – nach denen, die bereit für einen Zusammenschluss sind.
Der Green Deal war das Klima-Großprojekt des Jahres 2019 schlechthin. Nach dem Aufschwung diverser Umweltbewegungen wie „Fridays for Future“ im Jahr davor sollte er auf Unionsebene eine Nachhaltigkeitswende einleiten. Dabei hat das „Strategiepapier“ eigentlich gar keine rechtlichen Wirkungen, erklärt PD Dr.in Teresa Weber Msc. Vielmehr müsse der Green Deal erst durch weitere nationale Rechtssetzungsakte durchgeführt werden.
Leichter gesagt als getan, kritisiert die renommierte Juristin: Die innerstaatliche Umsetzung berge zahlreiche Hürden, die vom politischen Prioritätenkampf bis hin zur Kompetenzverteilung des österreichischen Förderalismus reichen würden. Es fehle an Mechanismen, um Planungen im Bundesstaat effizient durchzuführen. Ihre These untermalt die Expertin mit dem aktuell besonders hitzig diskutierten „Verbrennerverbot“ und der polarisierenden Beschlussfassung der Renaturierungs-Verordnung.
Damit nicht genug: Seit 2019 nimmt Teresa Weber einen deutlichen Wandel der Prioritäten der Unionsgesetzgebung wahr. Nunmehr solle auf den Industrial Clean Deal gesetzt werden, dieser lege den Fokus wiederum auf Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Biodiversität und Ökosysteme? Kein Teil des Pakets.
Dennoch misst Teresa Weber der Europäischen Union eine zentrale Rolle in Fragen des Umweltrechts zu: Seit 2009 respektive dem Vertrag von Lissabon seien Umwelt- und Klimaschutz im Unions-Verfassungsrecht verankert. Als globale Akteurin könne die Europäische Union einerseits ihre Verhandlungsmacht gezielt zugunsten des Klimas und der Nachhaltigkeit einsetzen. Andererseits verfüge sie über eine regelrechte Vielfalt an Regelungsinstrumenten – von Verboten bis hin zu EU-Abgaben. Gerade das zeige der Green Deal besonders anschaulich.
Teresa Weber betont abschließend die zentrale Rolle der Gerichte und der Zivilgesellschaft, die Politik an ihre Verpflichtungen zu erinnern. Auch die Einbindung der Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft in den Gesetzgebungsprozess erachtet die Expertin als besonders wichtig. Sie erinnert an die gesellschaftliche Pflicht, Druck auf die staatlichen Akteure auszuüben. Es stehe dem Unionsgesetzgeber nämlich nicht zu, die Klimapolitik frei nach Belieben zu gestalten - vielmehr sei er an die primär- und grundrechtlichen Vorgaben gebunden.