Mit Blick auf die gesamte Europäische Union lässt sich aktuell deutlich erkennen wie sehr demokratische Institutionen und Werte bröckeln. Mit den Grundwerten der Sozialdemokratie haben wir ein starkes Instrument diesen demokratiefeindlichen Entwicklungen entgegenzuwirken.
Meinungsfreiheit, geheime Wahlen oder das Recht auf Demonstration sind nur wenige Beispiele für demokratische Prinzipien, die für uns zur Normalität geworden sind. Seine Religion frei ausüben zu können oder lieben, wen man möchte, gehören ebenso zu einem Leben in Freiheit dazu. Unabhängige Gerichte und eine kritische, freie Presse gelten als Teil der demokratischen Grundordnung. Die Demokratie ist für uns in Österreich und in Europa zur Selbstverständlichkeit geworden. Ebenso die Existenz der EU als Friedensprojekt. Ein Blick sowohl in die Vergangenheit als auch in die Gegenwart zeigt jedoch, dass weder die Demokratie noch eine demokratische EU garantiert ist. Demokratie ist kein Naturgesetz oder Selbstläufer, sondern etwas, das wir kontinuierlich verbessern und etwas, das wir immer wieder verteidigen müssen!
Vor 100 Jahren war die Demokratie in Österreich nach kurzem Aufflackern schon nicht mehr existent. In der ersten Republik wurde das Parlament ausgeschaltet und es wurde per Notverordnungen regiert. Mit dem autoritären Ständestaat wurde die Demokratie de facto abgeschafft. Oppositionelle Parteien wie die Sozialdemokratische Arbeiterpartei wurden verboten, führende Politiker:innen verfolgt und Zeitungen zensiert. Diese auch als Austrofaschismus bezeichnete Zeit, wurde bis heute nicht aufgearbeitet. Der Autoritarismus herrschte weiter und erreichte unter der NS-Herrschaft seinen Höhepunkt. Österreich verlor seine staatliche Souveränität, politische Gegner:innen, Jüd:innen sowie andere Minderheiten wurden brutal verfolgt und ermordet. Erst vor 80 Jahren, mit Errichten der zweiten Republik, mit starker Verankerung in der Verfassung, der Parteien und der Sozialpartnerschaft, konnte ein demokratisches System neu aufgebaut werden. Auch hier findet die Aufarbeitung nur schleppend statt. Und auch hier mit weitreichenden Auswirkungen auf unsere Demokratie heute.
Spätestens die Haider-Ära mit dem Aufstieg der FPÖ in den 1990ern hat gezeigt, wie rechtspopulistische Rhetorik erneut in den politischen Mainstream einzieht und wie schnell Hass und Spaltung tonangebend werden. Mit Regierungsbeteiligung der FPÖ kam es 2000 sogar zu Sanktionen der europäischen Union gegen Österreich, da Österreichs Regierung als Risiko für die demokratische Wertegemeinschaft der EU angesehen wurde1. Ein Schritt, der nun über zwanzig Jahre später bei Orban’s Ungarn deutlich zögerlicher von der EU in Betracht gezogen wird.
Mit Blick auf die gesamte Europäische Union lässt sich aber aktuell deutlich erkennen wie sehr demokratische Institutionen und Werte bröckeln. Selbst die Europäische Kommission formuliert auf ihrer Website, die Demokratie stehe in der EU vor großen Herausforderungen, wie etwa durch zunehmenden Extremismus, Einmischung bei Wahlen, Verbreitung manipulativer Informationen oder Drohungen gegen Journalist:innen2.
Bezugnehmen möchte ich hier auf eine Studie aus dem Jahr 2023, die im Journal of Democracy erschienen ist. Sie zeigt sehr klar auf, dass die Demokratie von rechts bedroht wird. Ziel war es zu messen, wie stark sich Bürger:innen dafür entscheiden Demokratie-Risiken in Kauf zu nehmen, um politische Prioritäten durchzusetzen. Besonders hohe Toleranz gegenüber demokratischen Verstößen gab es dabei von politisch Desinteressierten sowie von Anhänger:innern der illiberalen Rechten[1]. Kernaussage der Studie ist: Die Demokratie wird nicht unbedingt durch plötzliche radikale Umstürze gefährdet, sondern durch eine schleichende Akzeptanz demokratischer Missachtung3.
Ungarns Premier Viktor Orbán betreibt mit seiner illiberalen Demokratie die Aushöhlung des Rechtsstaats indem er beispielsweise die Möglichkeiten der Opposition auf juristischem Wege beschränkt. Einem Weg, den er zuvor mit treuen Gefährten gelegt hat. So pflegt er zugleich einen intransparenten Umgang mit EU-Fördergeldern, wobei ihm nahestehende Personen auf wundersame Weise neuen Reichtum erlangen. Ebenso ist in Ungarn die Medienfreiheit bedroht, was durch Orbans offenkundiges Vorhaben gegen Medien durchzugreifen, deutlich wird4.
Zwischen 2015 und 2023 regierte die rechtskonservative Partei PiS in Polen und trotz ihrer überraschenden Abwahl prägt ihr Erbe das Land weiterhin. Die Regierung hat ihre Macht genutzt die Justiz sowie die Medien unter Kontrolle zu bringen, die Gewaltenteilung auszuhöhlen und LGBTQIA+-Rechte einzuschränken.
In Italien werden populistische und rechtsextreme Diskurse immer mehr zur Normalität. So werden beispielsweise NGOs, die Geflüchtete im Mittelmeer retten, kriminalisiert. Laut einem Bericht der Bürger:innenrechtsorganisation Civil Liberties Union for Europe sei Italien ein klares Beispiel für eine demokratische Rezession. Neben Italien sind auch Bulgarien, Kroatien, Rumänien und die Slowakei Länder, in denen die Rechtsstaatlichkeit nahezu in allen Bereichen untergraben wird5.
Hier ergibt sich ein Problem nicht nur für die einzelnen Mitgliedsstaaten, sondern für die gesamte Europäische Union. Schließlich sind diese Regierungen sowohl in der Gesetzgebung der EU als auch der politischen Gesamtausrichtung Tonangebend. Auch die Wahlen 2024 zum Europäischen Parlament haben gezeigt, dass die rechte Seite von den nationalen antidemokratischen Ressentiments profitiert.6 Die bisher pro-europäische Koalition aus Konservativen (EVP), Sozialdemokratie (S&D), Liberalen (Renew) und Grünen hätte zwar weiterhin eine Mehrheit, aber sehr oft entscheidet das Zünglein an der Waage, die EVP, sich dafür lieber mit den illiberalen Rechten von Meloni und Co Vereinbarungen zu treffen. Einerseits indem sie den politischen Diskurs in diese Richtung verschieben, andererseits indem sie demokratische Strukturen und Prozesse umgehen. Hier zum Beispiel das Wiederaufmachen bereits erst kürzlich beschlossener Rechtstexte, wie unternehmerische Sorgfaltsverpflichtungen, über rechtlich wackelige Konstrukte, um den ordentlichen Gesetzgebungsprozess effektiv zu umgehen. Die Folge: die europäische Demokratie wird ausgehöhlt7.
Schließlich können wir besonders markant, mit Blick über den Atlantik, in den Vereinigten Staaten sehen, wie sich das Land, das lange als Vorzeigedemokratie galt, in ein autoritäres Regime verwandelt. Neben dem Sturm aufs Kapitol oder dem Verbot von Büchern beziehungsweise gezielter Zensur in Schulen oder Bibliotheken ist vor allem die Einflussnahme von Superreichen zentral. So hat sich Elon Musk beispielsweise als Milliardär und zugleich reichster Mensch der Welt in die Präsidentschaftswahlen 2025 eingemischt.
Diese wachsende Kluft zwischen Arm und Reich ist längst kein Randthema mehr, sondern ist ein entscheidender Faktor für die Demokratie geworden. Während Reiche ihr Vermögen durch ständig steigende Immobilienpreise, Erbschaften und Kapitalerträge ständig vermehren, geraten viele Haushalte durch stagnierende Löhne, Inflation und unsichere Jobs in eine immer prekärere Lage. „Normale“ Menschen empfinden so auch immer häufiger, dass ihre Probleme politisch kein Gehör finden.
Die immer weiter auseinandergehende Schere gefährdet die Demokratie auf mehreren Ebenen. Die ökonomische Ungleichheit führt auch zu politischer Ungleichheit. So können vermögende Menschen Parteien monetär unterstützen, Lobbyarbeit finanzieren oder sogar Medien beeinflussen. Dies führt dazu, dass ihre Interessen politisch eher behandelt werden, als jene der Mehrheit der Menschen, die eben nicht vermögend sind. Bekommen Menschen zunehmend das Gefühl, Politik ist nicht für sie gemacht, so sinkt das Vertrauen in Institutionen und die Politikverdrossenheit wächst. Dies wiederum stärkt Populismus und Extremismus. Parteien die, vermeintlich einfache Lösungen, auf komplexe Fragen geben oder irrationale Schuldzuweisungen machen, gewinnen dadurch Zulauf. Diese Parteien sind zumeist rechts und haben oftmals antidemokratische oder autoritäre Tendenzen.
‚Feministinnen sind alle hässlich und grässlich.8‘, so zumindest ein deutscher AfD-Politiker. Rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien ziehen feministische Forderungen ins Lächerliche und greifen Frauenrechte auf mehreren Ebenen an. Rechte Populist:innen diffamieren Gender Mainstreaming, oder Frauenförderprogramme als unnötige Bürokratie oder ideologische Projekte. Durch die Infragestellung geschlechtsspezifischer Gewalt, wie beispielsweise durch VOX, die rechtspopulistische spanischen Partei9, wird die besondere Betroffenheit von Frauen relativiert, wodurch ernsthafte Rückschritte beim Gewaltschutz drohen. Zudem werden Frauen durch eine Betonung traditioneller Werte auf ihre Rolle als Mutter und Hausfrau reduziert. Familienförderungen werden oft so gestaltet, dass Frauen ökonomisch von Männern abhängig bleiben oder werden. Dies geschieht etwa durch Steuervergünstigungen für Mütter, wie es etwa in Ungarn der Fall ist10.
Negativ betroffen ist zudem das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. In Italien wird beispielsweise ein höherer Druck auf Frauen aufgebaut, die abtreiben möchten. Abtreibungsgegner:innen ist es seit 2024 erlaubt direkten Zugang zu den verpflichtenden Beratungsgesprächen zu erhalten um Frauen dort direkt anzusprechen und zu bedrängen. In Österreich ist das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche durch die Fristenregelung zwar grundsätzlich gesichert, doch es ist an sich illegal abzutreiben. Hier wäre einiges zu tun, damit Demokratie besser für alle funktioniert. Stattdessen diskutieren wir mittlerweile sogar die Existenzberechtigung mancher Menschen und verlieren den demokratischen Grundsatz der Würde aller aus den Augen. Die Rechte von queeren Menschen und Personen mit Migrationshintergrund, egal in wievielter Generation, sind schnell im Fokus der rechten Parteien. Auch hier zeigt sich ein essentieller Aspekt der bereits genannten „Salamitaktik“ bei der Demokratieabschaffung: zuerst werden die Rechte von bereits aktuell diskriminierten Personen eingeschränkt. Angeblich zum Schutz einer Mehrheit, die sich aber schnell als kleine Minderheit herausstellt. Denn tatsächlich werden Schritt für Schritt die Rechte aller Menschen weniger. Das Leben für alle schwerer, ausgenommen die winzig kleine Elite, die die Demokratie zerstört (hat)11.
Mit den Grundwerten der Sozialdemokratie haben wir ein starkes Instrument diesen demokratiefeindlichen Entwicklungen entgegenzuwirken. Demokratie funktioniert nur dann, wenn Menschen das Gefühl haben ihre Stimme wird auch gehört und sie tatsächlich am demokratischen Prozess teilhaben können. Als Schutzmechanismen gelten daher faire Löhne, soziale Absicherung und ein starker Wohlfahrtstaat. Demokratie nach sozialdemokratischem Vorbild hält wachsender Ungleichheit, Spaltung sowie Radikalisierung entgegen.
Ein zentrales Versprechen der Sozialdemokratie ist es der wachsenden Vermögensungleichheit entgegenzutreten. Mit einer gerechten Steuerpolitik, der Einführung einer Vermögenssteuer und gezielten Investitionen in Bildung, Pflege und Infrastruktur setzt sie auf eine Umverteilung von oben nach unten. Relevant ist ebenso der Schutz demokratischer Institutionen, welcher sich konsequent für die Unabhängigkeit von Gerichten, transparente Entscheidungsprozesse sowie für freie Medien einsetzt. Dadurch kann gewährleistet werden, dass Macht kontrolliert und Machtmissbrauch zugleich verhindert wird.
Zudem bedeutend ist die Förderung inklusiver heterogener Gesellschaften, welche durch rechtes Gedankengut zunehmend gefährdet wird. Rechte Akteur:innen schüren Ressentiments indem sie Menschen aufgrund ihrer Religion oder Geschlechtszugehörigkeit gegeneinander ausspielen. Die Sozialdemokratie hält dem ein Gesellschaftsbild entgegen, welches auf Solidarität und Gleichberechtigung baut. Sie setzt sich konsequent für die Rechte von Frauen ein, sei es im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt, bei der Gleichstellung in der Arbeitswelt oder bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Damit versteht sich die Sozialdemokratie nicht nur als Anwältin der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch als Partei der Frauen. Dies zeigt sich einerseits historisch anhand zahlreicher feministischer Errungenschaften und andererseits ist die Sozialdemokratie auch heute noch ein treibender Motor im Einsatz für die Gleichstellung der Geschlechter.
Schließlich ist die Stärkung der Zivilgesellschaft, wie durch Gewerkschaften oder Vereine entscheidend, denn Demokratie ist dann am lebendigsten wenn Menschen aktiv an ihr mitwirken und mitgestalten. Politische Partizipation beschränkt sich nicht auf den Wahlakt allein, sondern entsteht dort, wo Menschen ihre Interessen und Ideen gemeinsam sammeln und verbreiten.
Wir befinden uns in politisch prekären Zeiten, in denen das Morgen oft hoffnungslos und ungewiss erscheint. Jede schlechte Nachricht und jeder Rückschlag kann entmutigen, doch gleichzeitig kann und soll es geradezu eine Aufforderung sein, jetzt zu handeln, sich jetzt stark zu machen und aufzustehen. Für mich ist klar: Soziale Gerechtigkeit ist die Basis für eine funktionierende Demokratie. Mit den angeführten Beispielen möchte ich keine Angst schüren, sondern dazu anregen unsere Demokratie zu schützen und für sie zu kämpfen. Es liegt es an uns allen die Stimme zu erheben, uns zu organisieren und aktiv einzuschreiten, denn wenn eine Zivilgesellschaft lebt, dann lebt auch eine Demokratie!
1: https://www.parlament.gv.at/aktuelles/pk/jahr_2001/pk0448
3: https://muse.jhu.edu/pub/1/article/875795
4: https://www.zeit.de/politik/ausland/2025-03/ungarn-medien-viktor-orban
5: https://euractiv.de/news/ngo-bericht-italien-untergraebt-gezielt-die-demokratie/
8: antifeminismus-begegnen.de/de/2024/12/04/im-ressentiment-vereint
9: english.elpais.com/elpais/2019/11/25/inenglish/1574673576_576207.html
10:https://www.faktenforum.org/faktensammlungen/viktor-orban-plant-steuernachlasse-fur-mutter-in-ungarn
11: https://docs.un.org/en/A/HRC/56/49
[1] Illiberale Rechte berufen sich zwar auf demokratische Verfahren, höhlen aber gleichzeitig liberale Prinzipien aus oder stellen diese in Frage. Illiberal rechte Parteien sind populistisch, radikal und nationalistisch; sie sprechen sich also für Einwanderungsbegrenzung, traditionelle Werte und nationale Souveränität aus.
Evelyn Regner ist Mitglied des Europäischen Parlaments in der S&D-Fraktion und Delegationsleiterin der Europa-SPÖ. Die gebürtige Wienerin studierte Rechtswissenschaften in Wien und Salzburg und arbeitete unter anderem beim ÖGB sowie bei Amnesty International. Seit 2009 ist sie Abgeordnete im EU-Parlament. 2019 bis 2022 leitete sie den Ausschuss für Frauenrechte und Gleichstellung und war danach Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments.
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