Mir ist klar, dass alles Private politisch ist, dass Wählen mein Recht ist, dass ich mir Informationen besorgen kann, mein Recht auf freie Meinungsäußerung zu nutzen weiß, an Demonstrationen & Kundgebungen teilnehme. Aber wie ist das für jene Mädchen, junge Frauen und TIN*-Personen, die mehrfach Diskriminierung erleben aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihrer sexuelle Orientierung, die betroffen sind von Rassismus, Armut, Bildungsungleichheit, Sexismus, Gewalt, Fluchterfahrung... Was bedeutet Demokratie für sie?
Samstagmorgen: Ich räume den Geschirrspüler aus und denke dabei nach, was wesentlich für meinen Blogbeitrag sein könnte: „Wie wir als Gesellschaft sicherstellen können, dass Mädchen* und junge Frauen* mit vielfältigen Hintergründen in demokratischen Prozessen sichtbar und wirksam werden“ oder besser „Demokratie lebt von Beteiligung. Doch wer genau beteiligt sich – und wessen Stimmen gehen im Lärm des Alltags unter?“ als Titel? Tja, ich bräuchte mehr Zeit – aber die Care-Arbeit ist intensiv und stellt sich dem in Ruhe Denken über demokratische Prozesse, den vielfältigen Hintergründen von jungen Frauen und TIN*-Personen, ihrer Sichtbarmachung entgegen.
Ich bin privilegiert, als hier Geborene, weiße Frau aus der Mittelschicht ist Demokratie und Mitwirkung selbstverständlich. Mir ist klar, dass alles Private politisch ist, dass Wählen mein Recht ist, dass ich mir Informationen besorgen kann, mein Recht auf freie Meinungsäußerung zu nutzen weiß, an Demonstrationen & Kundgebungen teilnehme. Aber wie ist das für jene Mädchen, junge Frauen und TIN*-Personen, die mehrfach Diskriminierung erleben aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihrer sexuelle Orientierung, die betroffen sind von Rassismus, Armut, Bildungsungleichheit, Sexismus, Gewalt, Fluchterfahrung... Was bedeutet Demokratie für sie? Haben sie genug Kraft, sich frei und ohne Angst zu äußern? Kennen Sie ihre Rechte? Trauen sie sich, diese einzufordern? Was bedeutet für sie Gleichberechtigung? Was soziale Gerechtigkeit – wenn sie diese nicht erleben? Wo bekommen sie Unterstützung und Empowerment?
Spielen Wahlen für sie eine Rolle, denn 36% der Wiener:innen sind nicht wahlberechtigt? Grund: keine österreichische Staatsbürger:innenschaft. Eine genaue Zahl, wie viele der Ausgeschlossenen Frauen* sind, ist mir nicht bekannt. Wie jede:r weiß: die Staatsbürger:innenschaft erhält man nicht geschenkt – sie kostet, es gibt eine Sprach- & Werteprüfung, die man positiv bestehen muss. Eine Doppel-Staatsbürger:innenschaft ist nicht möglich, also braucht es evtl. eine Entscheidung, welchem Staat ich angehören will. Keine leichte Entscheidung, denn die Zurücklegung einer Staatsbürger:innenschaft hat Konsequenzen.
Demokratie und Wahlen sind eng miteinander verbunden. Wahlen sind eine Möglichkeit, sich an der Gesellschaft zu beteiligen – jede einzelne Stimme zählt. Was also tun, wenn ich keine Wähler:innenstimme habe? Mädchen, junge Frauen und TIN*-Personen können sich für ihre Interessen engagieren, ihre Rechte kennen, Informationen einholen, laut sein, auf die Straße gehen, Plakate malen, sich auf Social Media vernetzen, sich Raum nehmen, für Demokratie einstehen etc. – aber all das das braucht Mut, Zeit und Empowerment.
Wenn mir aber gerade alles auf den Kopf fällt, meine Welt grau ist und ich mich nur mehr verkriechen mag, wenn ich nicht weiß, wo ich morgen schlafen werde, wenn Gewalt Alltag ist – wie soll ich dann auch noch Kraft für Demokratie aufbringen? Wer hört denn schon auf mich?
Der Kampf um Gerechtigkeit und Gleichberechtigung – ganz wesentliche Faktoren von Demokratie – ging immer wieder von Frauen* aus. Hunger, Lebensmittelteuerung, ungerechte Löhne, Arbeitsrecht, horrende Mietpreise, Unterdrückung, Gewalt, Terror, … trieben Mädchen und Frauen* weltweit auf die Straße. Mädchen, Frauen und TIN*-Personen, die nicht geschwiegen haben und auch heute nicht schweigen, die sich zusammenschlossen und zusammenschließen um für Bildung, Rechte, Chancen, Freiheit, Repräsentation, Macht und faire Löhne zu kämpfen. Ihre Geschichten müssen wir weitererzählen, sichtbar machen. Social Media ist dafür genauso zu nutzen, wie Musik, Tanz, Kunst oder die nächste freie Wand, meine Stimme.
Viele von ihnen waren und sind Feministinnen, d.h. Menschen die sich für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzten und gegen Diskriminierung von Frauen, Mädchen und TIN*-Personen kämpften.
Ziel ist es, sicherzustellen, dass alle Menschen – unabhängig von Geschlecht – die gleichen Rechte, Freiheiten und Chancen im Leben haben, sowohl im öffentlichen als auch im persönlichen Bereich.
Frauen*- & Mädchen*beratungstellen übernehmen hier einen besonderen Part. Ich arbeite im sprungbrett für Mädchen* und junge Frauen*.
Für uns bedeutet Demokratie, dass sie gerecht, inklusiv und repräsentativ sein muss. Dass bedeutet für uns in unserer täglichen Arbeit, dass wir Mädchen, junge Frauen und TIN*-Personen empowern, ihren Weg in ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben gehen zu können. Rollenvorbilder, SOS-Wahlkabine in der Beratungsstelle, Mädchen* und Frauen*geschichte aufzeigen, den Internationalen Mädchen*tag und den 8. März als internationalen Frauen*kampftag zur Aufklärung nutzen. Dringende Themen wie Armut, Carearbeit, Ausgrenzung, sexuelle Belästigung, Gewalt, ungerechte Berufs- & Karrierechancen, Bildung, patriarchale Strukturen, Ungerechtigkeit etc. bringen wir an politischen Institutionen, nutzen Social Media, gehen auf die Straße, vernetzen uns, solidarisieren uns.
Es ist Samstag nach dem Mittagessen – wieder Aufräumen und dann zum Artikel setzen – nur kurz ein Blick auf die aktuellen Signalnachrichten und da ist sie – die Einladung: Frauen*Streik – Es reicht uns schon lange!! Doch endlich ist es soweit: wir streiken!! Am 24.10.2025 jährt zum 50. Mal der isländische Frauen*streik. Und hier und jetzt legen wir uns hin vor dem Parlament in Wien oder wo auch immer!
Ich notiere den Termin und teile ihn mit Freund:innen, Kolleg:innen, Nachbar:innen! Ich werde hingehen, ich werde streiken – ich lebe in einer Demokratie, da geht das – aber wie weit?
Martina Fürpass ist seit 2022 die Geschäftsführerin von sprungbrett für Mädchen* und junge Frauen*. Sprungbrett unterstützt Mädchen* und junge Frauen* auf ihrem Weg in eine selbstbestimmte Zukunft. Junge Frauen* etwas zutrauen, ihnen Lebensentwürfe jenseits der üblichen Rollenklischees aufzeigen, sie zu stärken ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben zu führen sind die Kernaufgaben des sprungbretts. Wir wollen ihren und unseren Blick auf ungerechte Strukturen schärfen und gemeinsam für Gleichberechtigung in allen Bereichen des Lebens eintreten.
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